Ein Apriltag in Lüneburg. Es ist noch zu frisch zum drau?en sitzen, wir machen es uns in Laras Sofaecke bequem. Lara erz?hlt aus ihrem Jahr mit Grundeinkommen. Aber auch von einer einschneidenden Entscheidung kurz vor ihrem Gewinn und wie es dazu kam. Laras Grundeinkommensgeschichte ist auch ihre Lebensgeschichte.
Alles beginnt an einem Haus am See. “Dort bin ich fr?hlich und naiv in Mecklenburg über die Wiesen gehüpft”, so blickt Lara auf ihre Kindheit zurück. Sie darf Tiere haben, einen Hund, eine Katze, ein Meerschweinchen. Das Leben als Kind hat für Lara Bullerbü-Charakter.
"Irgendwann kommt die Zeit, wo man überlegen soll: Was willst du denn mal werden?"
Lara will Tieren helfen, will, dass sie gesund sind. Tier?rztin will sie werden. Um einen Studienplatz zu bekommen, braucht Lara ein Einser-Abitur. Da ihre Noten in der Oberstufe dafür noch nicht ausreichen, entscheidet sie sich, die 11. Klasse zu wiederholen. Sie schafft es und studiert Tiermedizin.
Nach dem Studium bekommt Lara ihre erste Anstellung als Tier?rztin. Sie ist in ihrem Traumjob angekommen – dann aber schl?gt die harte Berufsrealit?t zu. Anfangs hat sie jedes zweite Wochenende Notdienst. Insgesamt 60 Stunden, in denen sie in der Praxis die einzige Ansprechperson für alle Notf?lle ist. Laras soziales Umfeld br?ckelt. Sie schafft es nicht mehr, sich mit Freund*innen zu treffen, zu Familienfeiern zu fahren und zeitweise liegt auch ihre Beziehung auf Eis.
Lara wechselt die Tierarztpraxis und verspricht sich davon Besserung. Aber auch hier steht das kleine Team rund um die Uhr für die Menschen mit ihren tierischen Patienten zur Verfügung. Feiertage inklusive, überlastung inklusive. Wenn mal nach den Bedürfnissen der Mitarbeiter*innen gefragt wird, gibt es nur die Antwort: “Das sind Verpisser-Praxen, die Notf?lle in die Kliniken weiterschicken.”
Die Tage in der Praxis sind lang. “Die Leute kamen auf den Trichter: Wenn sie kurz vor Schluss kommen, müssen sie nicht so lange warten.” Das führt oft dazu, dass Lara ihren Zug nach Hause verpasst und sich ein neues Ticket kaufen muss.
"Nachdem ich meine zwei Kinder bekommen habe, wird alles knapp: Die Zeit, der Schlaf, das Geld.Gut verdienen kann ich, vor allem im Notdienst, nicht.”
Neben der zeitlichen überlastung verkümmert Laras Wunsch, ihre F?higkeiten weiterzuentwickeln. Mit neuer Motivation beginnt sie ihre Arbeit in der dritten Praxis. Lara will gerne dazulernen, Ultraschall interessiert sie. Da wieder zeitlich alles so eng gestrickt ist, bleibt aber kein Raum zum Lernen. Sie erledigt, was die Praxis braucht.
Lara stellt im Nachhinein fest: “Ich bin fachlich zusammengesackt. Ich war so traurig darüber, dass ich doch dazulernen wollte, aber immer schlechter, immer angepasster und immer grauer wurde.
"Ich war gar nicht mehr ich."
Obwohl Lara über ihre Grenzen geht, k?mpft sie sich weiter durch: “Ich muss mich mehr anstrengen”, versucht sie sich vorzuhalten. Sie hat so viel für diesen Beruf getan. Sie will ihr Studium “nicht wegschmei?en”. Auch bedeutet ihr Job finanzielle Sicherheit für sie, ihren Partner und die beiden Kinder.
15 Jahre geht das so. Lara hat Schlafst?rungen, die sie zun?chst nicht ernst nimmt. Dann gibt ihr K?rper ein noch deutlicheres Warnsignal: Eine Autoimmunkrankheit bricht aus. Das ist für Lara das Stoppschild. Sie kündigt.
Pl?tzlich Pause. “Keine Ansprüche, weder von mir an mich, noch von irgendjemanden an mich. Ich war total glücklich in meinem Kokon, wo mich niemand erreichen konnte”, erinnert sich Lara. Aber sie hat auch Zukunftsangst: Wie soll es jetzt blo? weitergehen?
Kurz nach ihrer Kündigung gewinnt Lara Grundeinkommen. Auch ihr Partner gewinnt als Tandem ein Grundeinkommen für ein Jahr. Damit ist die finanzielle Sicherheit wiedergewonnen, die mit der Kündigung verloren ging.
Lara sieht klar, was sie als erstes geraderücken muss: “Dass ich wieder gesund werde.” Sie sucht ein auf Immunkrankheiten spezialisiertes Labor auf, sie kauft Probiotika und entzündungshemmende Mittel. Mit der ersten Grundeinkommens-überweisung zahlt sie die Rechnungen für ihre Gesundheit.
"Mein Leben ist wieder bunt."
Fast ein Jahr lang kann Lara im Lüneburger Impfteam arbeiten. Sie erf?hrt, wie Arbeit unter guten Bedingungen laufen kann. Und sie kann sich so in der Corona-Pandemie für andere einsetzen. Lara kommt zur Ruhe, geht wieder Reiten und Tanzen, lernt neue Menschen kennen. Auch die Krankheitssymptome lassen nach.
In dem Jahr mit Grundeinkommen und nach ihrer Kündigung fragt sich Lara auch: "Welcher Typ von Mensch bin ich eigentlich?” Sie probiert sich an Pers?nlichkeitstests und besucht ein Coaching. Lara lernt, ihre eigenen Wünsche und Grenzen klar zu kommunizieren. Und sie stellt fest: Es muss nicht immer alles so laufen, dass es nach au?en optimal erscheint, dass es ins Bild der Anderen passt. Viel wichtiger ist, sich auf die eigenen St?rken und Interessengebiete zu fokussieren.
Eines dieser Interessengebiete ist seit langem die Nachhaltigkeit: Wie k?nnen wir als Gesellschaft m?glichst schnell auf den Klimawandel reagieren? Lara sieht dieses Thema als den Einflussbereich, in dem sie fortan verst?rkt wirken will.
Ein Zweig kann nachhaltiger Tourismus sein. “Tourismus als kleine Blaupause für das, was auch im Gr??eren funktionieren kann”, sagt Lara. Sie probiert es schonmal in dem Haus ihrer Eltern aus, das sie inzwischen an Urlauber*innen vermietet. Das Haus soll energieeffizient gestaltet werden. Auf dem See schippert bereits ein Boot, das allein durch Pedalantrieb vorw?rts kommt. Ihren G?sten gef?llt’s.
Und so kehrt Laras Erz?hlung an den Anfang zurück, an das Haus am See.
* Lara hei?t eigentlich anders. Aus Rücksicht auf ihre Privatsph?re nennen wir sie in diesem Text Lara. Ihre Geschichte und ihre Zitate haben wir nicht ver?ndert.
Text: Malina Günzel | Fotos: Marco Heinig